MFG - Aus dem Exil
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St. Pöltens gute Seite

Aus dem Exil

Text Tobias Zuser
Ausgabe 12/2008
Auch wenn die Menschen in Hong Kong wohl mehr arbeiten als alle anderen, für eine Sache haben sie immer genügend Zeit: Essen. Wobei das deutsche Wort „Essen“ der kantonesischen Küche in keinster Weise ebenbürtig ist. In China probiert man das schon eher mit einem Sprichwort, das aber auch den Ekel nicht ganz verbergen kann: „Kantonesen essen alles, was vier Beine hat und kein Tisch ist, und alles was fliegen kann, außer einem Flugzeug.“ In Hong Kong kommt also – mit Ausnahme von Hund und Katze – alles auf den Teller. Den Tag beginnt man am besten mit gebratenen Hühner-Füßchen, wobei sogar bei diesen kleinen Zehen die wichtige Regel gilt: „Das beste Fleisch liegt am Knochen“. Dies hat zur Folge, dass alle Arten von Enten, Hühnern und Schlangen immer noch mit „Gerüst“ serviert und dann genüsslich bis zur letzten Faser abgenagt werden. Dieser Genuss spiegelt sich auch in der Reise- und Auswanderungsmotivation wider: „Wieso denn weggehen? Wir haben hier doch schon das beste Essen.“ Ganz unbescheiden weiß man doch, dass ein guter Koch China niemals verlassen würde. Kaum verwunderlich also, dass es vor allem Vegetarier bald „erwischt“: Denn sobald man den Kampf gegen den chinesischen Analphabetismus verloren und das Servierte nichts mehr mit dem Bestellten zu tun hat, erliegen auch die eingefleischtesten Rohkost-Esser ungewollt der kantonesischen Geschmackszauberei. Und irgendwann ertappt man sich dabei, wie man die Paketpreise der Hong Kong Post studiert und seine chinesischen Freunde über seine Lieblingsspeisen aufklärt – für den Fall, dass man doch einmal wieder zurück muss, ins kulinarische Barbarentum.